Aktien leerverkaufen: Von fallenden Kursen profitieren

Leerverkäufe kommen dann zum Einsatz, wenn Sie von fallenden Kursen profitieren möchten. Zu welchem Zweck die Börsenhändler Leerverkäufe einsetzen, wie diese funktionieren und welche Chancen sowie Risiken sich durch das Setzen auf fallende Kurse ergeben, lesen Sie in diesem Artikel.

Inhaltsverzeichnis

Die Märkte sind ständig in Bewegung: Sie steigen und fallen, doch die meisten Investoren profitieren lediglich von steigenden Märkten. Händler, die in jeder Marktsituation Gewinne erzielen wollen, setzen Leerverkäufe ein. Diese, häufig von Hedgefonds eingesetzte Praxis, stößt bei Privatanlegern oft auf Verwirrung. Viele Privatanleger verstehen die Mechanismen hinter einem Leerverkauf nur unzureichend und tendieren zum „Zocken“. In diesem Artikel möchten wir Ihnen die Funktionsweise näherbringen und Chancen sowie Risiken kritisch beleuchten.

Warum werden Aktien leerverkauft?

Börsenhändler setzen Leerverkäufe aus zwei verschiedenen Gründen ein: Absicherung oder Spekulation. Im Folgenden betrachten wir beide Intentionen:

Absicherung: Viele Börsenhändler und Fondsmanager sichern ihre bestehenden Positionen mit Leerverkäufen ab. Der Vorteil liegt darin, dass die bestehenden Positionen nicht liquidiert werden müssen. Oft verlangt der Broker nur eine verhältnismäßig niedrige Einlage als Sicherheit, was Absicherungen für Händler und Fondsmanager günstiger macht, da sie nicht so viel Kapital binden. Allerdings ist keine Art der Absicherung an der Börse kostenlos. Die Kosten verstecken sich in diesem Fall in den Opportunitätskosten. Gehen Sie von fallenden Kursen aus, kann es sinnvoller sein, die Position gänzlich aufzulösen und das freigewordene Kapital anderweitig profitabler zu investieren.

Spekulation: Der wohl häufigste Grund zum Leerverkaufen von Wertpapieren ist das Spekulieren auf fallende Kurse. Obwohl Hedgefonds nach Absicherungsstrategien benannt sind („to hedge“ auf Deutsch „absichern“), liegt ihre Praxis darin, fragile Unternehmen zu identifizieren und auf signifikante Kursrückgänge zu spekulieren. Ebenso setzen Privatanleger Leerverkäufe in den meisten Fällen zu Spekulationszwecken ein. Die Intention ist offensichtlich: Gewinne einfahren und das unabhängig davon, ob die Märkte steigen oder fallen. Welche Chancen und Risiken mit einer solchen Strategie einhergehen, werden wir später detailliert beleuchten.

Funktionsweise eines Leerverkaufs

Nehmen Sie an, Sie analysieren die XYZ AG und stellen fest, dass die Aktien der XYZ AG überbewertet sind. Entsprechend möchten Sie auf eine Kurskorrektur setzen und die Aktien leerverkaufen. Wie immer gilt der Grundsatz des Handels: Günstig kaufen und teuer verkaufen.

Leerverkauf Schema Darstellung
Funktionsweise von Leerverkäufen, eigene Darstellung

Um dem gerecht zu werden, verkaufen Sie die Aktien der XYZ AG. Es ergibt sich allerdings ein offensichtliches Problem: Sie besitzen die Aktien gar nicht. Dies ist aber kein Hindernis, denn Sie können die Aktien gegen eine geringe Gebühr von Ihrem Broker leihen. Diese ausgeliehenen Aktien, die sich jetzt in Ihrem Depot befinden, verkaufen Sie umgehend am Markt. Zu einem späteren Zeitpunkt kaufen Sie die Aktien am Markt zurück und geben die Aktien wieder Ihrem Broker. Die Differenz aus Verkaufskurs und Einkaufskurs abzüglich der Leihgebühren, sind Ihre Gewinnmarge.

Die Funktionsweise des Leerverkaufs zusammengefasst:

  1. Aktien vom Broker leihen
  2. Aktien umgehend am Markt verkaufen
  3. Zu einem späteren Zeitpunkt Aktien zurückkaufen
  4. Dem Broker die Aktien zurückgeben und die Leihgebühr entrichten, die Differenz ist der Gewinn/Verlust

Übrigens sind Leerverkäufe nicht auf Aktien als Asset Klasse beschränkt. Sie können zum Beispiel ebenso Devisen, Rohstoffe oder ETFs, zu denen wir einen eigenen Artikel veröffentlicht haben, leerverkaufen.

Beispiel eines Leerverkaufs

Nehmen Sie an, die Aktien der XYZ AG notieren bei 20  und Sie möchten zehn Aktien leerverkaufen. Sie leihen sich in dem Fall die zehn Aktien zu einem Gesamtpreis von 200 € und verkaufen die Aktien umgehend am Markt. Angenommen, der Aktienkurs fällt innerhalb von sechs Monaten auf 15 €, dann zahlen Sie insgesamt einen Preis von 150 € für zehn Aktien, wenn Sie diese zurückkaufen möchten. Die zehn Aktien samt Leihgebühr geben Sie Ihrem Broker zurück. Nehmen Sie an, dass Sie eine Leihgebühr von 1 € pro Monat zu entrichten hatten. Nach einem halben Jahr wären dies Verbindlichkeiten i.H.v. 6 € Ihrem Broker gegenüber. 

Leerverkauf Beispiel am DAX
Beispiel eines erfolgreichen Leerverkaufs, eigene Darstellung

Wie hoch ist nun Ihr Gewinn aus diesem Leerverkaufsgeschäft? Wie bereits erwähnt, besteht Ihr Gewinn aus der Differenz von Verkaufs- und Einkaufspreis, abzüglich der Leihgebühr. In diesem Beispiel wären dies 50 € als Differenz aus dem Verkaufs- und Einkaufspreis. Abzüglich der Leihgebühr i.H.v. 6 € ergibt sich ein Nettogewinn von 44 € aus diesem Leerverkauf.

Berechnung des Gewinns/Verlusts kurzum:

Verkaufspreis – Einkaufspreis – Leihgebühr = Gewinn/Verlust

Vor- und Nachteile von Leerverkäufen

Vorteile

Flexibilität: Durch den Einsatz von Leerverkäufen können Händler in jeder Marktphase Gewinne erzielen und sind nicht mehr auf steigende Märkte angewiesen. Dies ist das Hauptargument für Leerverkäufe und wird aus diesem Grund von Hedgefonds und anderen Spekulanten eingesetzt. Solche Akteure möchten Gewinne erzielen, ohne in Abhängigkeit guter Unternehmenszahlen, positiver Konjunkturerwartungen oder sonstiger exogener Faktoren zu stehen. Um fragile Aktien zu identifizieren, nutzen Börsenhändler meistens die technische oder fundamentale Analyse. In einem separaten Artikel unterziehen wir die technische und fundamentale Analyse einem umfassenden Vergleich.

Zusatzeinkommen: Dieser Vorteil betrifft die Verleiher der Aktien. Sie haben gelernt, dass Sie für einen Leerverkauf zunächst Aktien vom Broker leihen. Der Broker hingegen bezieht die Aktien aus den Bestandspositionen der Kunden. Die Leihgebühr, welche Sie dem Broker entrichten müssen, wird meistens hälftig zwischen Kunde und Broker geteilt. Angenommen, Sie besitzen zehn Aktien der XYZ AG und möchten neben den Dividenden zusätzliche Einnahmen generieren, dann können Sie Ihre Aktien für Aktienleihprogramme freigeben und verdienen beispielsweise 50 % der Leihgebühr. Möchte ein anderer Händler zum Beispiel zehn Aktien leerverkaufen und zahlt dieser eine Leihgebühr von 6 €, erhalten Sie 3 € und der Broker 3 €. Viele Privatanleger kritisieren dieses Vorgehen bei Fonds oder anderen institutionellen Händlern. Allerdings ist das Risiko nahezu unverändert, da der Leerverkäufer eine Margin hinterlegen muss. Ist diese Margin überschritten, wird die Position automatisch glattgestellt. Zudem verleihen viele Broker die Aktien ohne Aktienleihprogramm aus ihren Kundenbeständen.

Nachteile

Unbegrenztes Risiko: Ein nicht zu unterschätzendes Risiko von Leerverkäufen ist das unbegrenzte Verlustpotenzial. Während Sie beim Kauf von Aktien „nur“ Ihr eingesetztes Kapital und somit 100 % verlieren können, sind bei Leerverkäufen mehrere hundert bis tausend Prozent durchaus denkbar, sofern Sie kein Risikomanagement betreiben. Problematisch ist zudem, dass viele Händler mit Fremdkapital spekulieren, um ihren eigenen Gewinn zu steigern. Der Hebel läuft allerdings in beide Richtungen: Sowohl Gewinne als auch Verluste werden multipliziert, was potenzielle Fehltrades schnell zum unkontrollierbaren Desaster machen kann.

An dieser Stelle ist ein striktes und durchgehend beständiges Risikomanagement essenziell. Eine einfache und effektive Möglichkeit ist das Setzen von Stop Loss Marken. Zum Thema Stop Loss haben wir bereits einen detaillierten Artikel veröffentlicht, in dem wir die Funktionsweise samt Vor- und Nachteilen darstellen.

Gebühren: Des einen Freud ist des anderen Leid, denn während die Eigentümer der Aktien gemeinsam mit dem Broker die Leihgebühren kassieren, haben die Leerverkäufer eben jene Leihgebühren zu entrichten. Gerade bei Aktien, welche unter Leerverkäufern sehr begehrt sind, können die Zinssätze der Leihgebühren schnell in den zweistelligen Bereich p.a. steigen. Solche Aktien sind in der Regel jene, bei denen der Gesamtmarkt von einer starken Korrektur ausgeht.

Des Weiteren gibt es, im Falle der Absicherungsstrategien, die Opportunitätskosten von Leerverkäufen. Leerverkäufer binden durch die Absicherungen häufig ihr Kapital in Trades, bei denen das Kapital anderweitig besser investiert wäre. Mitunter würde sich eine gänzliche Liquidation mehr rechnen, als einen Trade abzusichern und dadurch noch mehr Kapital zu blockieren. Eine geschickte Art zur Absicherung ohne allzu hohe Opportunitätskosten (im Vergleich zum klassischen Hedge mittels Leerverkäufen) können Long-Put Optionen sein. Was es damit auf sich hat, haben wir bereits im ausführlichen Artikel zu den Grundlagen von Optionen beleuchtet. Der entschiedene Vorteil liegt zum einen in der verhältnismäßig geringen Kapitalbindung und zum anderen in der Möglichkeit, dennoch unbegrenzt mit der Primärposition zu profitieren, sollte der Kurs weiter steigen.

Ein dritter Nachteil ist das Risiko eines Short Squeeze. Ein Short Squeeze ist durchaus nicht alltäglich an der Börse, dafür aber umso intensiver, falls es mal dazu kommt.

Der Short Squeeze

Unter einem Short Squeeze („squeeze“ auf Deutsch „quetschen“) ist eine plötzliche Verdrängung der Leerverkäufer aus dem Markt zu verstehen. Die Leerverkäufer werden aus dem Markt „gequetscht“. Wie das funktioniert, möchten wir Ihnen anhand eines Beispiels zeigen.

Leerverkauf Short Squeeze
Short Squeeze der Leerverkäufer aus dem Markt, eigene Darstellung

In diesem Beispiel durchbricht die XYZ AG eine technisch signifikante Widerstandsmarke. Viele Leerverkäufer verwenden die technische Analyse, um ihre Stop Loss Marken zu platzieren. Diese werden in der Regel knapp oberhalb von Widerständen platziert. Steigt der Kurs jetzt nur marginal über die Widerstandszone, werden die ersten Leerverkäufe geschlossen, indem die Aktien zurückgekauft werden. Die Rückkäufe führen wiederrum zu weiter steigenden Kursen, da die Käufe eine Nachfrage auf dem Markt erzeugen. Die folglich steigenden Kurse lösen wieder die nächsten Stop Loss Orders aus. Der Kreislauf beginnt und irgendwann steigt der Preis soweit, dass auch große Leerverkäufer liquidieren müssen und die Marktnachfrage in die Höhe schießt.

Dieser Mechanismus ist übrigens exakt jener, welcher bei der Game-Stop-Aktie zu Jahresbeginn 2021 für Unruhen sorgte. Besonders dabei war, dass nicht wie üblich die Hedgefonds oder andere große Händler die Stop Loss Marken der kleinen „gefischt“ haben, sondern die Kleinanleger die Hedgefonds in die Enge trieben.

Interessant zu wissen: Leerverkaufspositionen mit großen Volumen müssen von den Leerverkäufern gemeldet werden. Eine Seite, auf der Sie die Leerverkäufer der großen Fonds beobachten können, ist der Bundesanzeiger. Hier können Sie die Netto-Leerverkaufspositionen am Stichtag und im Verlauf betrachten.

Fazit: Leerverkäufe nicht ohne striktes Risikomanagement

Mit Leerverkäufen können Anleger auf fallende Kurse setzen und in jeder Marktphase Gewinne erzielen. Vorher ausgeliehene Aktien können am Markt verkauft und zu einem späteren Zeitpunkt zurückgekauft werden. Die Differenz, abzüglich Leihgebühren, bildet den Gewinn. Allerdings sollten Anleger beachten, dass Leerverkäufe mit theoretisch unbegrenzten Verlusten verbunden sind. Ein striktes Risikomanagement ist essenziell, um irreparable Schäden im Depot zu vermeiden. Bei einer Absicherung sollte stets hinterfragt werden, ob die Kapitalbindung angebracht ist oder ob die Opportunitätskosten zu hoch sind.

Lesen Sie gerne auch unseren Artikel Antizyklische Aktien: Souverän durch alle Marktphasen.

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Kai Heinrich

Kai Heinrich

Kai Heinrich ist seit 2012 im Vorstand der Plutos Vermögensverwaltung AG und verantwortet schwerpunktmäßig die Bereiche Unternehmenssteuerung, Bestandskundenbetreuung, Fondsmanagement und Organisation. Zusätzlich ist er Fondsmanager des Kana NEB Funds und agiert neben Thomas Käsdorf als Co-Fondsmanager des offensiven Mischfonds Plutos Multi Chance.

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