Kai Heinrich | 11. Dezember 2025 |

Kryptowährungen und Geldpolitik

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Inhaltsverzeichnis

 


 

Einleitung: Ein Versprechen mit historischem Vorbild

Als Satoshi Nakamoto im Oktober 2008, mitten in der globalen Finanzkrise, das Bitcoin-Whitepaper veröffentlichte, versprach die neue Technologie eine Revolution: Ein dezentrales elektronisches Zahlungssystem, das vollständig ohne Banken und Zentralbanken auskommt. Die Vision war radikal und wurzelte in der Cypherpunk-Bewegung, die nach den Anschlägen vom 11. September und dem Patriot Act staatliche Überwachung fürchtete. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese vermeintliche Innovation als die technische Neuauflage eines historischen Experiments, das im 19. Jahrhundert katastrophal gescheitert ist: der Goldstandard mit seiner fixen, nicht manipulierbaren Geldmenge.

Heute, mehr als ein Jahrzehnt nach Entstehung des Bitcoins, stellt sich die zentrale Frage: Sind Kryptowährungen tatsächlich die Zukunft des Geldes oder wiederholen sie Konstruktionsfehler, die die Menschheit längst überwunden glaubte? Die Antwort auf diese Frage hat weitreichende Konsequenzen für Geldpolitik, Finanzstabilität und wirtschaftliche Prosperität im 21. Jahrhundert.

 

Die ideologischen Wurzeln: Von der Österreichischen Schule zu Bitcoin 

Um Kryptowährungen zu verstehen, muss man ihre intellektuellen Wurzeln kennen. Diese reichen zurück zur Österreichischen Schule der Nationalökonomie um Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek. Diese Denkrichtung, beeinflusst vom calvinistischen Protestantismus, sieht in staatlichen Eingriffen in Märkte grundsätzlich eine „Anmaßung von Wissen“ und idealisiert das Prinzip der spontanen Ordnung. Finanzkrisen werden nicht als Marktversagen interpretiert, sondern als notwendige „kreative Zerstörung“, die gesellschaftliche Katharsis bringt.

Die programmierte Begrenzung der Bitcoin-Menge auf 21 Millionen ist eine direkte Umsetzung dieser Ideen: Die Geldmenge darf nicht manipulierbar sein, Zinsen sollen sich ausschließlich aus Angebot und Nachfrage ergeben. Das Problem dabei: Die Cypherpunks, die Bitcoin erschufen, besaßen keine volkswirtschaftliche Expertise. Ihre Weltanschauung – Ablehnung zentraler Institutionen, Vertrauen auf technische statt politische Lösungen – kompensierte fehlendes Wissen über die Funktionsweise von Geldmärkten. Was technologisch beeindruckend erscheint, ist ökonomisch eine Regression zu überwundenen Konzepten.

 

Die Lehren des Goldstandards: Geschichte wiederholt sich

Die Geschichte bietet eine eindrucksvolle Warnung vor Währungssystemen mit fixer Geldmenge. Im 19. Jahrhundert führte der US-Goldstandard zu extremer finanzieller Instabilität. Zwischen 1863 und 1913 erlebten die Vereinigten Staaten acht schwere Bankenkrisen. Die Unfähigkeit, die Geldmenge flexibel an die wirtschaftliche Nachfrage anzupassen, führte zu dramatischen Zinsschwankungen – in der Panik von 1907 schnellten kurzfristige Zinsen auf 100 Prozent pro Jahr. Die daraus resultierende Wirtschaftskrise ließ die US-Wirtschaft um zwölf Prozent schrumpfen.

Das New York Clearing House versuchte damals durch die Ausgabe von Clearinghouse Loan Certificates – faktisch eine temporäre Ausweitung der Geldmenge –, die Panik zu beruhigen. Diese Erfahrung zeigt eine fundamentale Wahrheit: Ohne die Möglichkeit, die Geldmenge in Krisenzeiten auszuweiten, entsteht ein sich selbst verstärkender, destabilisierender Prozess. Die Angst vor Bank-Runs wurde so groß, dass selbst solide geführte Institute in die Illiquidität getrieben wurden. Erst die Gründung der Federal Reserve 1913 ermöglichte eine stabilisierende Geldpolitik.

Kryptowährungen wiederholen diese Konstruktionsfehler in digitaler Form. Die programmierte Begrenzung der Bitcoin-Menge macht eine flexible Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung unmöglich. In einem hypothetischen Kryptostandard könnten Zentralbanken nicht mehr durch Zinspolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steuern, um Inflation zu bekämpfen oder Rezessionen abzumildern. Anders als beim Goldstandard, wo zumindest zentrale Institutionen Notmaßnahmen ergreifen konnten, verhindert die dezentrale Architektur von Kryptowährungen selbst solche Interventionen.

 

Geldpolitische Transmission: Wie wirken Kryptowährungen heute?

Die zentrale Frage für Zentralbanken lautet: Welchen Einfluss haben Kryptowährungen bereits heute auf die Wirksamkeit der Geldpolitik? Empirische Untersuchungen der Deutschen Bundesbank zeigen ein differenziertes Bild. Analysen auf Basis von Hochfrequenzdaten rund um geldpolitische Ankündigungen des EZB-Rats deuten darauf hin, dass Bitcoin-Preise in diesen Zeiträumen tendenziell volatiler sind und stärker mit anderen Vermögenspreisen korrelieren als sonst üblich. Allerdings sind diese Effekte deutlich schwächer ausgeprägt als bei konventionellen Vermögenswerten.

Ökonometrische Analysen mittels vektorautoregressiver Modelle bestätigen diesen Eindruck. Zwar reagieren die Preise von Bitcoin und anderen bedeutenden Krypto-Token statistisch signifikant auf geldpolitische Impulse – eine unerwartete Zinssenkung führt zu einem langanhaltenden Anstieg der Token-Preise. Allerdings erklären geldpolitische Impulse der EZB nur etwa acht Prozent der Varianz des Bitcoin-Preises. Zum Vergleich: Bei Aktienkursen liegt dieser Anteil bei etwa 28 Prozent, beim Euro-US-Dollar-Wechselkurs bei rund zwölf Prozent.

Der weitaus größere Teil der volatilen Kursentwicklung von Kryptowährungen muss anderen Faktoren zugerechnet werden – etwa Veränderungen in der allgemeinen Risikoneigung der Finanzmarktteilnehmer, krypto-spezifischen Ereignissen oder spekulativen Dynamiken. Diese Befunde widerlegen die These, dass eine lockere Geldpolitik hauptverantwortlich für die hohen Bewertungen von Kryptowährungen sei. Der messbare Effekt ist im Vergleich zu anderen Einflussfaktoren moderat.

Dies liegt auch daran, dass Kryptowährungen konzeptionell anders funktionieren als traditionelle Vermögenswerte: Sie versprechen keine Zinszahlungen wie Anleihen oder Dividenden wie Aktien, die durch geldpolitische Impulse direkt beeinflusst würden. Ihr Wert basiert primär auf dem Vertrauen in das technologische Protokoll, der erwarteten zukünftigen Adoption und spekulativen Erwartungen. Der Ökonom John Maynard Keynes beschrieb dies als „Beauty Contest“: Der Preis hängt nicht von fundamentalen Eigenschaften ab, sondern davon, was andere glauben, dass wieder andere in Zukunft dafür zu zahlen bereit sind.

 

Die Herausforderungen für Zentralbanken

Dennoch stellen Kryptowährungen Zentralbanken vor mehrere grundlegende Herausforderungen. Erstens beeinträchtigen sie potenziell die geldpolitische Transmission, wenn Menschen vermehrt in Kryptowährungen ausweichen und diese als Wertspeicher nutzen. Die sogenannte „Crypto-Dollarization“ ist besonders in Ländern mit schwachen Währungen relevant, wo Kryptowährungen als Alternative zu instabilen lokalen Währungen dienen und die nationale Geldpolitik untergraben können.

Zweitens verlieren Zentralbanken mit dem Bedeutungsverlust des Bargeldes Handlungsmöglichkeiten, Bürgern direkt risikofreies Zentralbankgeld zur Verfügung zu stellen – eine Lücke, die private digitale Währungen füllen könnten. Drittens könnte die Dominanz privater Zahlungssysteme die währungspolitische Souveränität von Staaten gefährden, insbesondere wenn große Technologiekonzerne eigene globale Währungen etablieren wollten.

Ein Kryptostandard würde zudem die fiskalpolitische Souveränität des Staates untergraben. In einem monetär souveränen Staat mit eigener Währung können Staatsanleihen theoretisch nicht ausfallen, da der Staat Geld schaffen kann, um seine Schulden zu bedienen. Bei einer Bindung an Kryptowährungen müssten Staaten Ausfallprämien zahlen, was die Verschuldungskosten dramatisch erhöhen würde. Die Macht über die Geldmenge würde von demokratisch legitimierten Institutionen auf private Eigentümer von Kryptowährungen übergehen – eine fundamentale Verschiebung wirtschaftlicher und politischer Macht.

 

Verteilungsfragen: Cui bono?

Die Frage „Wer profitiert?“ offenbart die Interessenlagen hinter verschiedenen Währungssystemen. Im Goldstandard fließt die Seigniorage – der Gewinn aus der Geldschöpfung – an die Goldindustrie, während im Fiat-System die Zentralbank diese Gewinne an den Staat abführt. Ein Kryptostandard würde die Seigniorage an Bitcoin-Miner und Großbesitzer transferieren – eine fundamentale Umverteilung von öffentlicher zu privater Hand.

Besonders profitieren würden die sogenannten „Wale“ – Großbesitzer von Bitcoin. Über 7,5 Millionen der 19 Millionen existierenden Bitcoin wurden seit 2019 nicht bewegt. Weniger als 10.000 Menschen weltweit besitzen gemeinsam fast ein Drittel aller geschürften Bitcoin – eine Konzentration, die systemische Risiken schafft und überproportionale Gewinne einer kleinen Elite verspricht.

Würde die Geldmenge konstant bleiben, während die Wirtschaft wächst, entstünde automatisch Deflation. Diese Deflation nutzt primär denjenigen, die bereits über hohe Geldvermögen verfügen. Die historische Episode von 1895, als US-Präsident Cleveland mit gesenktem Kopf beim Banker J.P. Morgan um Gold betteln musste, illustriert die Machtverschiebung: Private Geldbesitzer diktieren dem Staat die Konditionen.

Besonders zynisch erscheint in diesem Kontext das Marketing von Kryptowährungen als demokratisierende Technologie. Tatsächlich würde ein Kryptostandard die größte Umverteilung von öffentlichem zu privatem Vermögen in der modernen Geschichte bedeuten – und die makroökonomische Stabilisierungsfähigkeit demokratisch legitimierter Institutionen zerstören.

 

Fazit: Innovation oder Regression?

Die Analyse zeigt: Kryptowährungen sind im Kern der ideologisch motivierte Versuch, ein Währungssystem mit fixer Geldmenge zu etablieren – ein System, das historisch katastrophal gescheitert ist und dessen Wiederholung die makroökonomische Stabilität zerstören würde. Die programmierte Knappheit von Bitcoin ist keine Innovation, sondern die technische Umsetzung der Ideen der Österreichischen Schule, die bereits im 19. Jahrhundert zu verheerenden Finanzkrisen führten.

Die technologische Verpackung als „Innovation“ verschleiert die reaktionäre Natur dieses Projekts. Blockchain mag eine interessante Technologie sein – die Anwendung auf Währungen reproduziert jedoch Konstruktionsfehler, die die Menschheit längst überwunden glaubte. Die libertäre Erzählung von Freiheit durch Dezentralisierung verdeckt die tatsächlichen Machtverhältnisse: Eine kleine Elite würde faktisch geldpolitische Macht ausüben, demokratisch legitimierte Institutionen würden entmachtet, und die gesamtwirtschaftlichen Kosten in Form von Finanzkrisen trügen alle.

Die geldpolitische Herausforderung durch Kryptowährungen besteht letztlich darin, zwischen legitimer Innovation und gefährlicher Regression zu unterscheiden. Zentralbanken und Regulierungsbehörden müssen diese Unterscheidung treffen und kommunizieren – nicht in abgehobener Expertensprache, sondern in einer Weise, die auch junge Menschen erreicht. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob dies gelingt und ob demokratische Gesellschaften ideologisch motivierte Projekte durchschauen können, die im Gewand technischer Innovation daherkommen.

 

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