Was sinkende Zinsen für die Wirtschaft bedeuten
Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) oder die US-Notenbank (FED) steuern die Wirtschaft unter anderem durch den Leitzins. Wenn sie diesen senken, wird es für Unternehmen und Verbraucher günstiger, sich Geld zu leihen, was viele Auswirkungen auf die Wirtschaft hat.
Leitzinsen der EZB und FED, Quelle: https://www.leitzinsen.info/
Unternehmen können durch niedrigere Kreditzinsen günstiger in neue Maschinen, Anlagen und Immobilien investieren, um produktiver zu operieren. Verbraucher können sich durch niedrigere Zinsen ebenso günstiger Geld leihen, beispielsweise für Kredite zum Kauf von Autos, Möbeln oder anderen Konsumgütern. Durch die erhöhten Investitionen und den gestiegenen Konsum benötigen Unternehmen mehr Arbeitskräfte, was zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit und einem Anstieg der Löhne führt. Das Ergebnis: Die Wirtschaft floriert. Niedrige Zinsen sind ein klar bullisches Zeichen für Aktionäre.
Die Börse und ihre Sektoren
An den Börsen dieser Welt gibt es verschiedene Systeme zur Einteilung von Aktien in Sektoren. Eine weit verbreitete Klassifizierung ist die Global Industry Classification Standard (GICS), die von MSCI und S&P Global gemeinsam entwickelt wurde. Sie unterteilt Unternehmen in 11 Sektoren:
- Basiskonsumgüter: Unternehmen dieses Sektors produzieren unverzichtbare Produkte wie Nahrungsmittel, Getränke, Haushaltswaren und Körperpflegeprodukte.
- Zyklische Konsumgüter: Hierzu gehören Unternehmen, die Produkte herstellen, die von der Konjunktur abhängen, wie z. B. Autos, Möbel und Unterhaltungselektronik.
- Dienstleistungen im Bereich des zyklischen Konsums: Unternehmen in diesem Sektor bieten Dienstleistungen an, die von der Konjunktur abhängen, wie z. B. Hotels, Restaurants und Freizeitangebote.
- Nichtzyklische Konsumgüter: Unternehmen dieses Sektors produzieren Produkte, die weniger stark von der Konjunktur abhängen, wie z. B. Arzneimittel, Kosmetika und Tabakwaren.
- Rohstoffe: Unternehmen in diesem Sektor fördern und verarbeiten Rohstoffe wie Öl, Gas, Metalle und Bergbauprodukte.
- Industrie: Unternehmen dieses Sektors stellen langlebige Güter her, wie z. B. Maschinen, Anlagen und Bauprodukte.
- Versicherungen: Unternehmen in diesem Sektor bieten Versicherungsdienstleistungen an, wie z. B. Lebens-, Sach- und Krankenversicherungen.
- Finanzdienstleistungen: Unternehmen in diesem Sektor bieten eine breite Palette von Finanzdienstleistungen an, wie z. B. Bankdienstleistungen, Vermögensverwaltung und Investmentbanking. Finanzen und Versicherungen sind dabei verwandte Sektoren.
- Technologie: Unternehmen in diesem Sektor entwickeln und verkaufen technologische Produkte und Dienstleistungen, wie z. B. Computer, Software und Telekommunikationsausrüstung.
- Telekommunikation: Unternehmen in diesem Sektor bieten Telekommunikationsdienste an, wie z. B. Mobilfunk, Festnetz und Internet.
- Versorger: Unternehmen in diesem Sektor versorgen Haushalte und Unternehmen mit öffentlichen Versorgungsleistungen, wie z. B. Strom, Wasser und Gas.
Innerhalb dieser Sektoren werden die Unternehmen weiter in Branchen und Unterbranchen unterteilt. Dies ermöglicht eine genauere Analyse der Wertentwicklung einzelner Unternehmen und Branchen. Es ist dabei wichtig zu beachten, dass die Einteilung in Sektoren nicht vollkommen einheitlich ist und von Börse zu Börse leicht variieren kann.
Welche Sektoren könnten jetzt interessant werden?
Bevor wir analysieren, welche Sektoren im Falle sinkender Zinsen besonders interessant werden, gilt es, einen wichtigen Zusammenhang hervorzuheben.
Zinsen und Inflation: Was das für die verschiedenen Sektoren bedeutet
Historisch hat sich gezeigt: Zinsen und Inflation korrelieren eng miteinander, was durchaus Sinn ergibt.
Leitzins und Inflationsrate, Quelle: https://navigator.mmwarburg.de/magazin/hohe-inflation-warum-die-ezb-so-gelassen-bleiben-kann/
Bei steigender Inflation steuert die Zentralbank mit einem steigenden Leitzins dagegen. Die beiden Parameter laufen parallel hoch – oder eben runter.
Inflation und Sektoren: Small-Caps
Statistisch zeigt sich: Steigt die Inflation, performen Small-Caps – also kleine, börsennotierte Unternehmen – schlechter. Dabei geht es nicht um bestimmte Sektoren, sondern lediglich um die Unternehmensgröße von Unternehmen beliebiger Sektoren.
Die Performance von Small-Caps in Beziehung zur Inflation, Quelle: https://www.gsam.com/content/gsam/us/en/institutions/market-insights/gsam-connect/2022/David_vs_Goliath-Dont_Underestimate_The_Small_Caps.html
Die Abwertung von Small-Cap-Aktien in Inflationszeiten hat verschiedene Ursachen, die oft in einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Faktoren liegen.
Aktien von Unternehmen, deren Gewinne und Cashflows hauptsächlich in der Zukunft liegen, reagieren empfindlicher auf Zinsänderungen. Dies liegt am Discounted-Cashflow-Verfahren (DCF), einer gängigen Methode zur Unternehmensbewertung. Bei steigenden Zinsen (die, wie oben gezeigt, parallel zur steigenden Inflation laufen) werden zukünftige Gewinne und Cashflows mit einem höheren Abzinsungssatz abgewertet, was sich negativ auf den gegenwärtigen Aktienkurs auswirkt. Small-Cap-Unternehmen, die oft ein höheres Wachstumspotenzial haben, sind daher stärker von dieser Abwertung betroffen als Unternehmen mit etablierten Geschäftsmodellen und stabilen Gewinnen. Im Umkehrschluss heißt das: Bei niedriger Inflation und niedrigen Zinsen performen Small-Caps besser. Von dieser Erkenntnis sind die Sektoren relativ abgekoppelt.
Inflation und Sektoren: Growth-Aktien
In gewisser Hinsicht sind sich Growth- und Small-Cap-Aktien sehr ähnlich. Das noch große Wachstumspotenzial ist hier der größte gemeinsame Nenner. Vergleichen wir also Growth-Aktien mit Value-Aktien:
Value-Aktien tendieren dazu, in Zeiten hoher Inflation, robustem Wirtschaftswachstum und erhöhten Zinsen besser abzuschneiden. Im Gegensatz dazu outperformen Growth-Aktien oft, wenn die Inflation niedrig ist, das Wirtschaftswachstum schwach ausfällt und die Zinsen niedrig sind oder sinken.
Über-/Unterperformance von Value versus Growth, Quelle: https://anchorcapital.com/value-vs-growth-still-value-value-investing/
Fazit: Rotation der Sektoren
Bei sinkenden Zinsen scheinen die Sektoren eine untergeordnete Rolle zu spielen. Viel mehr scheint es auf das Größen- und dem Cashflow-Verhalten anzukommen. Sinkende Zinsen machen den Zugang zu frischem Kapital günstiger. Zwar profitieren (fast) alle Sektoren davon, aber der Nutzenzugewinn scheint besonders bei kleinen Unternehmen ins Gewicht zu fallen. Small-Caps und Growth-Aktien scheinen, abgekoppelt von ihren Sektoren, besonders von sinkenden Zinsen zu profitieren.
Eine vollständige Sektoren-Rotation auf alleiniger Basis von Zinsdaten ist dennoch nicht zu empfehlen. Je nach Grundlage der Zinsänderung gilt es individuell abzuwägen, ob und wie eine Rotation im Depot erfolgen soll.
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