Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) spielt eine entscheidende Rolle für Stabilität und Wachstum in der Eurozone – ihre geldpolitischen Regeln, Wirkmechanismen und Grenzen verdienen daher besondere Aufmerksamkeit.
Wer entscheidet über die Geldpolitik der EZB?
Das wichtigste Gremium der EZB ist der Geldpolitische Rat – auch EZB-Rat genannt (englisch: Governing Council). Im Rat wird entschieden, ob Leitzinsen gesenkt oder angehoben werden. Der Rat setzt sich zusammen aus dem Präsidenten, Vizepräsidenten, vier weiteren Direktoren aus dem Haus der EZB. Hinzu kommen die Zentralbankchefs der 20 Mitgliedsstaaten des Euroraums. Hier rotieren die Stimmrechte: Die 20 Mitgliedsstaaten teilen sich 15 Stimmrechte.
Welche Instrumente besitzt die EZB?
Leizinsen
Entgegen der landläufigen Meinung gibt es nicht nur einen Leitzins, sondern drei.
- Spitzenrefinanzierungssatz (aktuell 2,40 %): Der Zinssatz, zu dem sich Banken kurzfristig Geld leihen können.
- Hauptrefinanzierungssatz (aktuell 2,15 %): Der Zinssatz war früher das wichtigste Instrument. Refinanzierungsgeschäfte werden heute aber kaum noch genutzt. Der Hauptrefinanzierungssatz dient der mittelfristigen Finanzierung. Dabei führte die EZB Repo-Geschäfte durch, d.h. sie versteigert wöchentlich Geld an die Geschäftsbanken und steuert so die Zentralbankgeldmenge. Repo-Geschäfte (englisch: „Repurchase Agreement“) tragen ihren Namen, weil die EZB Liquidität an Geschäftsbanken vergibt, gleichzeitig wird aber auch die Rücknahme der Geschäfte üblicherweise nach zwei Wochen vereinbart.
- Einlagesatz (aktuell 2,00 %): Das ist der Zinssatz, den die Geschäftsbanken für Einlagen bei der EZB erhalten. Der Einlagensatz ist der wichtigste Leitzins heute, da Banken ihre aktuell im großen Maßstab überschüssige Liquidität bei der EZB parken.
Galt früher der Hauptrefinanzierungssatz als der eigentliche Leitzins, so ist es heute der Einlagensatz. Das wurde im März 2024 sogar offiziell von der EZB beschlossen. Warum das so ist, wird im nächsten Abschnitt erklärt.
Anleihekäufe: Liquiditätsspritze in Billionenhöhe
Während der Finanzkrise begann die EZB mit massiven Anleihekäufen und flutete das Bankensystem mit Liquidität. In der Spitze summierten sich diese Käufe auf rund 9 Billionen Euro. Das entspricht pro-Kopf etwa 25.000 Euro je Einwohner des Euroraums. Die Geschäftsbanken konnten gar nicht so viele Kredite vergeben, wie sie an Liquidität bekommen haben. Zeitweise mussten sie für diese Liquidität sogar negative Zinsen zahlen.
Die Idee dabei war: Durch die Liquidität, verbunden mit den negativen Zinsen, sollte die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte angekurbelt werden.
Wahrscheinlich hätte ein direkter Transfer von 25.000 Euro pro-Kopf einen größeren Konjunktureffekt gehabt – wenngleich auch mit einem entsprechend größeren Effekt auf die Inflation der Verbraucherpreise. Von daher ist dieser Vergleich etwas schief. Dazu mehr im Abschnitt „Helikoptergeld“.
Devisenpolitik: Ein selten genutztes Werkzeug
Zwar erlaubt der EU-Vertrag der EZB, durch Devisengeschäfte den Wechselkurs zu beeinflussen. Das heißt, die EZB kann beispielsweise Euro verkaufen und damit den Euro schwächen. Sie kann auch Dollar oder andere Fremdwährungsbestände verkaufen und im Gegenzug den Euro stärken.
Doch dieses Instrument wird nur in Ausnahmefällen genutzt – etwa bei international abgestimmten Interventionen. In der Praxis überlässt die EZB diese Spielart der Geldpolitik anderen Zentralbanken.
Kommunikation als Instrument der Geldpolitik
Ein oft unterschätztes, aber äußerst wirkungsvolles Instrument für alle Zentralbanken ist die Kommunikation: Reden von Zentralbankern, EZB-Papiere oder Prognosen senden gezielte Signale an Märkte und Öffentlichkeit und haben damit einen Einfluss auf Erwartungen. Hinter den Prognosen steht ein großer, erfahrener Stab von Mitarbeitern, deshalb haben sie einen starken Einfluss. Auch damit können Zentralbanken die Realwirtschaft steuern.
Die EZB legt Wert darauf, mit ihrer Kommunikation (“forward guidance”) die Marktteilnehmer auf geldpolitische Änderungen gut vorzubereiten.
Geldpolitische Regeln in der Praxis
Das Problem der Zentralbanken: Navigieren nur mit Rückspiegel
Im Ausbildungszentrum der Bundesbank – so lautet eine Geschichte – gab es einen Fahrsimulator – allerdings ohne „Frontscheibe“. Gesteuert wurde der Rennwagen im Simulator nur mit Blick in den Rückspiegel.
Dieses Bild beschreibt die Lage von Zentralbanken treffend: Sie treffen Entscheidungen auf Basis vergangener Daten und müssen daraus zukünftige Entwicklungen antizipieren.
Von der Geldmengensteuerung zur Taylor-Regel
Die Bundesbank arbeitete früher mit einer einfachen Regel: Sie steuerte die Geldmenge. Genauer gesagt steuerte die Bundesbank die Geldmenge M3 mithilfe eines transparenten Geldmengenziel. Zur Steuerung der Geldmenge nutzte sie den Diskontsatz und den Lombardsatz als Leitzinsen.
Die Geldmengensteuerung scheiterte jedoch, da die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sich als nicht stabil erwies – sie sank tendenziell u.a. durch neue Transaktionstechniken. Darüber hinaus ist die Umlaufgeschwindigkeit während der Finanzkrise deutlich gesunken. Die zusätzlich von der EZB geschaffene Liquidität hat damit nur einen überschaubaren Nachfrageeffekt gehabt. Inflationsziele haben sich weltweit als geldpolitische Regeln durchgesetzt.
Die EZB behielt die Geldmenge zwar als eine ihrer „zwei Säulen“, sie spielt aber in der Praxis kaum eine tragende Rolle.
Das Inflationsziel der EZB: Von asymmetrisch zu symmetrisch
Die EZB steuerte ihre Geldpolitik zunächst mit dem Inflationsziel: „knapp unter 2 %“ (englisch: below but close to 2%). Diese Regel hat sie jedoch angepasst, um Abweichungen von dem Inflationsziel nach oben und unten gleichermaßen zuzulassen. Seit 2021 gilt nun ein mittelfristiges symmetrisches Inflationsziel von 2 %. Abweichungen können kurzfristig auftreten sollen mittelfristig aber vermieden werden.
Zum Vergleich: Die US-Notenbank Fed verfolgt ein breiter gefasstes Inflationsziel (2 % bis 3 %) und hat zusätzlich das Ziel der Vollbeschäftigung.
Die Taylor-Regel
Die US-Notenbank verfolgt somit zwei Ziele gleichzeitig mit ihrer Geldpolitik. Das Konzept ist auch als sogenannte Taylor-Regel bekannt: Die Regel fordert eine Balance zwischen Inflations- und Beschäftigungsziel.
Formell leitet sich der optimale Leitzins aus einer Funktion ab, in die erstens die Abweichung der Inflation vom Inflationsziel und zweitens die Abweichung der Beschäftigung von der Vollbeschäftigung einfließen.
Grundsätzlich können dabei beide Ziele gleichgewichtet werden. Es kann aber auch eines der Ziele stärker gewichtet werden. Während in den USA beide Ziele gleichrangig behandelt werden, fokussiert sich die EZB offiziell vorrangig auf Preisstabilität. Dennoch hat auch die EZB die Arbeitslosigkeit im Blick, da ein zu niedriges Beschäftigungsniveau Deflationsrisiken heraufbeschwört.
Die Taylor-Regel liefert mithin den passenden Leitzins für verschiedene Konstellationen – etwa, wenn Inflation hoch, aber Arbeitslosigkeit niedrig ist oder umgekehrt. In der Praxis ist allerdings unklar, wie die Gewichtung dieser Ziele konkret erfolgen sollte.
Geldpolitik vs. Fiskalpolitik
Zwei Wege zur Nachfragesteuerung
Beide Politikfelder zielen darauf ab, Nachfrage zu steuern, unterscheiden sich aber im Instrumentarium:
- Geldpolitik wirkt über Zinssätze und Liquiditätssteuerung.
- Fiskalpolitik agiert über Steuersenkungen, Ausgabenprogramme oder Transferzahlungen.
Die Wirkung der Geldpolitik hängt stark von der Kreditnachfrage und -vergabe ab. Sinkende Zinsen gehen mit zunehmenden Kreditwachstum einher – dadurch wird die Nachfrage stimuliert.
Die Wirkung der Fiskalpolitik hängt davon ab, welche Maßnahme ergriffen wurde. Eine expansive Wirkung kann erzielt werden durch Steuersenkungen oder Ausgabenerhöhungen.
Idealerweise unterstützen sich Geld- und Fiskalpolitik gegenseitig. Beispielsweise könnte die Konjunktur im Krisenfall über Steuer- und Zinssenkungen angeschoben werden. Dabei würden die Steuersenkungen in der Praxis sehr schnell positiv auf die Nachfrage wirken und die Zinssenkungen zeitverzögert.
Grenzen verschwimmen: Wo endet Geldpolitik, wo beginnt Fiskalpolitik?
Die Unterscheidung zwischen Geld- und Fiskalpolitik ist theoretisch klar, in der Praxis jedoch zunehmend unscharf. Beispielsweise können fiskalische Maßnahmen durch Zentralbanken refinanziert werden, wodurch sich die Wirkung von Helikoptergeld, einem theoretischen geldpolitischen Konzept, annähert.
Helikoptergeld: Nur Theorie oder bald Realität?
Eine weitere Idee, zusätzliche Nachfrage zu schaffen ist die Verteilung von sogenanntem Helikoptergeld. Der Gedanke geht auf Milton Friedman zurückgeht. Friedman stellte sich vor, was passiert, wenn man Geld aus Helikoptern abwerfen würde. Er meinte Helikoptergeld würde keine zusätzliche reale Nachfrage schaffen, sondern nur zu steigenden Preisen führen.
Das Direktzahlungen an Bürger aber sehr wohl einen positiven Effekt auf die Nachfrage haben, wurde nicht zuletzt durch die Steuerschecks nachgewiesen, die in den USA während der Corona-Pandemie verteilt wurden.
Mit Helikoptergeld könnte die Nachfrage wahrscheinlich effektiver und gezielter stimuliert werden als mit Zinssenkungen. In der Praxis könnte dies theoretisch über den geplanten digitalen Euro geschehen: Künftig sollen Bürger des Euroraums den digitalen Euro als zusätzliches Zahlungsmittel erhalten. Dabei stehen sie mit der EZB in Beziehung – entweder direkt, wahrscheinlich aber über eine Geschäftsbank.
Die EZB hätte dann die theoretische Möglichkeit in Krisensituationen den Bürgern einen festgelegten Betrag zu überweisen und so direkten Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu nehmen. Sie könnte z.B. jedem Einwohner direkt einen Betrag von z. B. 1.000 digitalen Euro gutschreibt und die Konjunktur damit stärken.
Interessanterweise könnten die digitalen Euro auch „programmiert“ werden. Das ist laut EZB zwar nicht vorgesehen, aber technisch möglich: Durch eine Programmierung könnte die zusätzliche Nachfrage sehr genau gesteuert werden. So könnte das Geld ein „Verfallsdatum“ erhalten, bis zu dem es ausgegeben werden muss, andernfalls verfällt es.
Es könnte auch festgelegt werden, wofür Geld ausgegeben wird, z.B. für Waren aus Sektoren, die unter einer fehlenden Nachfrage leiden. Auch Geofencing wäre möglich, d.h. das Geld darf nur in Regionen bzw. Ländern ausgegeben werden, die unter einer wirtschaftlichen Krise leiden.
Damit hätte die EZB ein geldpolitische Instrument für eine sehr gezielte Nachfragesteuerung. Wirtschaftskrisen, aufgrund fehlender Nachfrage, könnten damit theoretisch der Vergangenheit angehören. Damit wäre Geld jedoch kein neutrales Tauschmittelmehr, staatlicher Missbrauch wäre gleichfalls nicht ausgeschlossen. Das größte Problem wäre aber, dass eine solche Nachfragesteuerung strukturelle Anpassungsprozesse verhindert bzw. zumindest verzögern würde.
Fazit: Auswirkungen und Anleihen, Aktien und Anleger
Für Anleger ist die Wirkung der EZB-Politik auf die Finanzmärkte entscheidend. Die EZB steuert primär den Geldmarktzins, also kurzfristige Zinsen. Über Anleihenkäufe wurde während der Finanzkrise auch Einfluss auf langfristige Kapitalmarktzinsen genommen, was jedoch nicht zur Kernaufgabe der Zentralbank gehört.
Sinkt der Leitzins, dann sinken in der Regel auch die Kapitalmarktzinsen und die Kurse von Anleihen steigen. Auch Aktien profitieren, da die erwarteten zukünftigen Unternehmensgewinne, die die Aktienkurse bestimmen, bei niedrigen Kapitalmarktzinsen höher bewertet werden.
Die Regel, dass eine expansive Geldpolitik und sinkende Leitzinsen zu einem Rückgang der Kapitalmarktzinsen führen, gilt nicht immer. Anleger könnten auch negativ auf Zinssenkungen reagieren, insbesondere wenn Zentralbanken genutzt werden, um staatliche Schulden monetär zu finanzieren. In solchen Fällen könnten die Kapitalmarktzinsen auch steigen und die Anleihenkurse fallen, weil die Anleger mit zukünftig höherer Inflation rechnen und daher höhere Renditen fordern.
Auch der Gleichlauf zwischen Anleihen- und Aktienmärkten ist nicht garantiert. Bei konjunktureller Unsicherheit oder geopolitischen Krisen flüchten Anleger häufig aus Aktien – während sie Anleihen als sicheren Hafen bevorzugen. Die Folge: Aktienkurse fallen, Anleihen steigen.
Für den Anleger gibt es somit keine einfache Faustregel zur Bewertung der Geldpolitik. Ob eine geldpolitische Entscheidung gut oder schlecht für die Kurse von Aktien und Anleihen ist, hängt immer von der jeweiligen Marktsituation ab. Ein Verständnis der Zusammenhänge zwischen Zinsen, Inflationserwartungen und wirtschaftlicher Lage ist für jede Anlagestrategie essenziell.
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